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Biogasanlage

Die rasante Zunahme an Biogasanlagen und an Biomasse-Anbau steht im engen Zusammenhang

Das OVG Lüneburg hat mit Beschluss vom 4.5.2012 im Normenkontrollverfahren gegen die Biogasanlage in Luttmersen das Genehmigungsverfahren mangels fehlender Bekanntmachung in der örtlichen Presse für ungültig erklärt.

Der Ortsrat Helstorf hat sich mit dem Begehren der Landwirte am 14.4.2010 (Aufstellungsbeschluss) auseinandergesetzt. Dabei handelte es sich um eine Biogasanlage in der Endausbaustufe von 1,3 Megawatt. Die in 2012 vorhandenen 9 Anlagen in Neustadt liefern zusammen eine Leistung von 4,6 Megawatt. Am 03.07.2012 hat der Ortsrat aufgrund des Richterspruchs erneut einen Aufstellungsbeschluss zu fassen und diesen abgelehnt. Im Umwelt- und Entwicklungsausschuss fand der Antrag auch keine Mehrheit. Der Verwaltungsausschuss hat den Aufstellungsbeschluss mehrheitlich beschlossen. Jetzt ist die letzte Runde angesagt, der endgültige Satzungsbeschluss. Der einzige Sinn dieses Verfahrens ist, den erneut beschlossenen Bebauungsplan und Flächennutzungsplan korrekt zu veröffentlichen.

Dieses Vorgehen gibt uns Ratsmitgliedern die Möglichkeit, über die Sinnhaftigkeit und die langfristigen Folgen für Natur und Umwelt nachzudenken. Sind Biogasanlagen mit einer Biomasse, die in Konkurrenz der verwendeten Rohstoffe zu einer Nutzung als Nahrungsmittel stehen, die richtige Technik zur Energieerzeugung? Müssen wir in Verantwortung für unsere Kinder den Irrsinn stoppen?

Von der Verwaltung und vielen Ratsherren wird behauptet, dass man für die Stadt nur dann verantwortlich handelt, wenn die Entscheidungsträger dem aktuellen Verfahren zustimmen, um Verlässlichkeit für die Landwirte zu signalisieren sowie eine mögliche Schadensersatzklage gegen die Stadt zu verhindern.
Ein vorliegendes Rechtsgutachten zweier Rechtsanwälte für Verwaltungsrecht beweist, dass die Landwirte keinen Anspruch auf ein erneutes Verfahren wie jetzt praktiziert haben und deshalb ihnen eine Schadensersatzklage nicht zusteht. Die Stadt könnte das Verfahren sofort stoppen. Offensichtlich benutzen einige Verantwortliche das Argument, um diese Anlage ohne Widerstände durchzuwinken.
Auf der Sitzung des Umwelt- und Stadtentwicklungsausschusses am

Die Änderung des Flächennutzungsplans ermöglicht eine Erweiterung der Biogasanlage von 600 kW auf eine Leistung von 1,5 Megawatt elektrischen Strom. Eine so große Anlage ist nicht mehr mit Mais von den eigenen Feldern und eigener Gülle zu bestücken. Hier sind u.U. sehr große Transportwege zu befürchten, die den Nutzen der Anlage minimiert.
Wenn die Landwirte angeblich beteuern, dass eine solche riesige Anlage nicht geplant ist, so sprechen die Texte in den Planungsbeschreibungen (Flächennutzungsplan) eine andere Sprache. Selbst wenn dies zutrifft, so kann jeder gut situierte Investor die kleine Anlage kaufen und ohne rechtliche Probleme entsprechend vergrößern. Was hat nun gerade diese Anlage mit dem Maisanbau zu schaffen?

Jeder Neubau muss im Kontext der Industrialisierung der Landwirtschaft bewertet werden.
Die Daten und Fakten in den Drucksachen sowie die Einschätzung der Bedeutung der Biomasseanlagen für die Sicherung unseres Energiebedarfs beruhen alle auf Einschätzungen aus dem Jahre 2010 und früher.
Die im Jahre 2004 gut gemeinte allerdings nicht nachhaltige Maßnahme, die Nutzung des Maises als Brennstoff und den Bau von Biomasseanlagen über viele Jahre finanziell zu bezuschussen, hat zu einem rasanten Maisflächenanbau geführt. Inzwischen wird die Kritik an der Entwicklung dieser Technik sowie der finanziellen Förderung immer stärker, nicht nur aus der Bürgerschaft sondern auch aus der Landwirtschaft selbst, der Politik, der Wissenschaft, der Presse und dem Fernsehen.
So hat die Landwirtschaftskammer Niedersachsen auf ihrer Homepage (http://www.lwk-niedersachsen.de/index.cfm/portal/6/nav/355/article/19589.html) unter dem Titel „EEG stellt die Kulturlandschaft auf den Kopf“ eine Agrar-Statistik veröffentlicht, die folgende Fakten nachweist:
Mit dem EEG im Jahre 2004 hat sich der Maisanbau durch den Zubau von Biogasanlagen verdoppelt und nimmt 2012 1/3 des Ackerlandes (= 630 000 ha) in Beschlag. Die Landwirte haben ihr Grünland, das bisher mit Zuschüssen „gepflegt“ wurde, verstärkt umgebrochen zu Ackerland. Außerdem reduziert sich die Ackerfläche durch Besiedelung und die damit einhergehende Verpflichtung, Ausgleichsflächen auszuweisen. Der durch neue Biogasanlagen wachsende Anteil an Maisflächen liegt in einigen Landkreisen bei 40% bzw. über 50% der Landfläche; im Verhältnis zur Ackerfläche ist der Anteil noch deutlich höher.
Die Zunahme des Maisanbaus geht deutlich zu Lasten des Getreideanbaus. Getreide wird immer häufiger als sogenannte Ganzpflanzensilage vor der Reife geerntet und für die Biogasanlage aufbereitet. Zwischen den Hauptpflanzen werden immer häufiger Grünroggen für die Biogasanlage gesät und rechtzeitig vor der Aussaat des Maises geerntet. Der Ackerboden muss so immer stärker künstlich gedüngt werden. Bei unseren Sandböden ist unser Grundwasser besonders gefährdet. Abschliessend heisst es in dem Bericht:

Unabhängig davon ist die Getreideerzeugung aber schon so weit zurückgedrängt, dass Deutschland die Schwelle erreicht hat, auf Importe angewiesen zu sein. Ob sich die Maiszunahme noch weiter fortsetzt und noch weniger Getreide erzeugt werden kann, hängt vom weiteren Zubau an Biogasanlagen ab und davon, welche pflanzenbaulichen Alternativen für deren Substratbedarf gefunden werden. Jedoch vergrößert sich dadurch nicht die Getreidefläche für Ernährungs- und Fütterungszwecke, sondern lediglich das Repertoire der Substrate für Biogasanlagen.

Die Situation in Neustadt ist in der Drucksache 230/2012 der Stadt Neustadt beschrieben:
Im Jahre 2011 erzeugten 7 Biogasanlagen eine elektrische Leistung von 4 116 kW. In Neustadt betrug die Maisanbaufläche insgesamt 3 855 ha. Das sind 20% der Ackerfläche bzw. 17,5% der landwirtschaftlichen Fläche. In 2012 gibt es insgesamt 9 Biogasanlagen mit einer Gesamtleistung von 5 135 kW, also 1019 kW mehr. Wenn die geplanten bzw. genehmigten 5 Anlagen (Vesbeck, Eilvese, Laderholz, Wulfelade, Schneeren) mit einer Leistung von 75 - 500 kWh verwirklicht werden, erhöht sich die elektrische Leistung um insgesamt 1095 kW. Damit würde Neustadt eine Gesamtleistung von 6 230 kW Strom erzeugen. Wenn man für die Stromerzeugung von 1kW ca. 0,5 ha Silomais benötigt, dann wird für die Betreibung der Biogasanlagen eine Maisfläche von insgesamt 3 115 ha benötigt.
Laut beabsichtigter Flächennutzungsplanänderung ist in Luttmersen eine Biogasanlage von 1 500 kW möglich, also ein zusätzlicher Flächenverbrauch von ca. 750 ha.

Die wachsende Bodenknappheit hat auch für die Landwirte fatale Folgen. Viele Bauernhöfe besitzen nicht ausreichend Fläche und pachten deshalb weiteren Ackerboden für mehrere Jahre. Der Pachtzins ist jedoch deutlich angezogen, so dass in einigen Regionen die Existenz der landwirtschaftlichen Betriebe gefährdet ist.

Inzwischen verlangen Umweltschützer wie der Nabu in Niedersachsen bereits einen Baustopp für Biogasanlagen.

Zur Biogasanlage in Luttmersen:
Die Bundeswehr in Luttmersen hatte Interesse an einer sofortiger Umsetzung des Biogasprojektes bis Ende 2011; sie will ihren Energiebedarf aus Regenerativen Energien decken. Hat die Bundeswehr bereits nach Alternativen gesucht? Wie groß ist der Wärmebedarf? Eine Biogasanlage ohne Abwärmenutzung ist allerdings nach aller Expertenmeinungen nicht rentabel und verschlechtert ihre Co2-Ökobilanz. Eine mögliche Alternative ist die Umwandlung des Gases in Methan mit einer direkten Einspeisung in das städtische Gasnetz. Diese Technik ist allerdings nur bei überdurchschnittlich großen Biogasanlagen rentabel. Letztlich wird hier deutlich, dass in diesem Genehmigungsverfahren die Ziele noch nicht alle klar formuliert sind.

Das Genehmigungsverfahren lief bis Anfang 2011 als Vorhabenbezogener Bebauungsplan. Bei diesem Verfahren muss exakt festgelegt werden, welcher Art das Vorhaben ist und wie groß die Anlage werden soll. Fachlich ausgedrückt Art und Maß der baulichen Nutzung müssen festgeschrieben werden. Ebenso wird der Vorhabenträger (Antragsteller) verpflichtet, das Vorhaben, wie genehmigt, in einem festgelegten Zeitrahmen zu realisieren. Bei diesem Verfahren gibt es keinen Spielraum und keine Änderungsmöglichkeit nach Abschluss und Rechtskraft des Verfahrens. Die Größe der Anlage und die darauf abgestimmten Gutachten beträgt 600 kW, elektrische Leistung. Auf Anraten von Prof. Schmidt-Eichstädt (von Stadt und Antragsteller beauftragt) wurde das Verfahren in einen Angebots-Bebauungsplan geändert. Wie der Name bereits sagt, bietet dies Verfahren etwas an, es besteht jedoch nicht die Verpflichtung zur Durchführung. Weder zeitlich noch in der Größe der Anlage. Die Größe wird lediglich durch das maximal auf dem Grundstück Mögliche begrenzt.
Für dieses Angebots-Bebauungsplanverfahren wird die Größe der Anlage wie folgt definiert:  "Die Gutachten haben als Ausgangstatbestand eine Biomassenanlage mit einer installierten elektrischen Kapazität von 600 kW zugrunde gelegt. Die nachfolgenden Ausführungen werden zeigen, dass die Ergebnisse der Begutachtungen zuverlässige Aussagen auch über die Auswirkungen von Anlagen zur Vergärung von Biomasse mit einem höheren Leistungsgrad unter Einsatz von mehr Feuerungswärme bis hin zur objektiven Leistungsgrenze des Plangebiets zulassen. Unter der „objektiven Leistungsgrenze des Plangebiets“ wird jene objektive Grenze der Aufnahmefähigkeit des Plangebiets verstanden, die durch die Flächengröße des Plangebiets sowie durch die einschränkenden Festsetzungen (insbesondere die Höhenbegrenzung für die baulichen Anlagen, die den Bau von Fermentern nur in der südlichen Hälfte des Plangebiets zulassen) verursacht wird. Diese objektive Leistungsgrenze liegt bei einer installierten elektrischen Leistung von ca. 1.500 kW (Diese Zahlen beruhen auf Angaben der Herstellerfirma für Biogasanlagen MTE.)"
(Entwurf zum Bebauungsplanverfahren Nr. 727 „Biomasseanlage Luttmersen“, Seite 12).
Hieraus ist eindeutig abzulesen, dass dieses Bebauungsplanverfahren den Bau einer gewerblichen Biogasanlage mit einer Mindestgröße von 1.500 kW ermöglichen soll.

In den textlichen Festsetzungen zum Entwurf des Bebauungsplanes heißt es unter Punkt 1.2 d):
Im Sondergebiet sind zulässig:
...
d) Anlagen und Einrichtungen zur Aufbereitung von Biogas mit dem Ziel, eine Einspeisung in das Gasnetz zu ermöglichen;
Die Aufbereitung und Einspeisung von Gas bedeutet, dass keine Überschusswärme erzeugt wird und somit die Wärmeversorgung der Kaserne nicht möglich ist. Der Standortvorteil in der Nähe der Kaserne ist damit bedeutungslos. Offensichtlich steht die Versorgung der Kaserne mit Wärme nicht mehr im Vordergrund. Von besonderer Bedeutung erachten wir, dass es bis heute keine projektbezogene und nachvollziehbare CO2-Bilanz gibt. Man kennt die Anlagengröße, die Zuschlagstoffe sowie die Gährrestmengen. Die Anbauflächen der Landwirte sind bekannt, ebenso die Fahrstrecken. Folgende Fragen suchen nach eindeutigen Antworten:

Ich nehme folgende Antworten aus dem Umwelt- und Siedlungsausschuss mit:

  1. Die Betreiberseite erklärt einfach, die Stadt muss sich mit Schadensersatzforderungen auseinandersetzen; kein Gutachten.
  2. Die Bundeswehr hat noch Interesse an Bio-Wärme, und es läge eine Stellungnahme der Wehrbereichsverwaltung vor; keine schriftlich Vorlage.
  3. Die Produktion von Gas zur Einspeisung in das öffentliche Gasnetz ist nur eine Alternative; wofür ? Doch kein Interesse seitens der BW?
  4. Eine CO2-Bilanz ?

Die Neustädter Grünen sind gegen diese Art von Biogasanlagen und haben bereits im Kommunal-Wahlprogramm 2011 folgendes dokumentiert:

"Zum Schutz von Mensch und Natur muss der Umbau zur Energieversorgung durch Regenerative Energien in Neustadt und im Umfeld geregelt werden: Bei der Vernetzung müssen vorhandene Leitungen voll ausgeschöpft und durch neue sinnvoll ergänzt werden. Neue Leitungen müssen unterirdisch verlegt werden.
Flächennutzungspläne und Raumordnungspläne müssen den aktuellen Wildwuchs z. B. an Biogasanlagen verhindern und Anlagen sinnvoll in ein funktionierendes Gesamtsystem fügen.

Wir Neustädter Grüne unterstützen die Förderung von Biogasanlagen, die mit organischen Reststoffen aus der Landwirtschaft (Gülle, Stroh usw.) und dem Gartenbau betrieben werden. Die aktuelle rasante Entwicklung in Neustadt und in Niedersachsen, Mais und andere Pflanzen als Energiequelle für Biogasanlagen und für Biobenzin anzubauen, gefährdet die Nahrungsmittelproduktion sowie, ganz besonders bei unseren sandigen Böden, unser lebenswichtiges Grundwasser. Diese Entwicklung muss gestoppt werden."

Weitere Links:

"Biogasanlage: Eigentlich eine tolle Sache" (Bilderserie)
NDR: "Streitfall Biogas" (Film)
NDR: Was wurde aus der Biogasanlage in Thielen? (Ein Interview)
ZDF: "Grüne Energie boomt" (Film)
NDR: Biogas - Ausweg oder IrrWeg?

Kategorie: Energiepolitik